Ohne Schaman/innen keine Gemeinschaft?

Am Wochenende besuchte ich in Oldenburg im Landesmuseum eine Ausstellung über Schamanen in Sibirien. Ein ausgestopfter Wolf schien mich zu beobachten, während ich mir Alltags- und Ritualgegenstände der Nanai und Tschuktschen aus den letzten Jahrhunderten anschaute. In den Erläuterungen wurde deutlich, dass die Schaman/innen bedeutende Persönlichkeiten waren, die nicht nur Kranke heilten, sondern für das Wohl des Stammes in jeglicher Hinsicht zuständig waren.
Auf der Rückfahrt ging mir immer wieder ein Satz aus einem Beitrag über die Zukunft des Schamanismus durch den Kopf. Ein Schamane sagte: “Wenn es keine Schamanen mehr gibt, die für die Gemeinschaft leben, leiden und sterben, dann wird es bald auch keine Gemeinschaft mehr geben.”
Keine Gemeinschaft ohne Schaman/innen? Ohne Menschen, die für die Gemeinschaft leben und leiden? Menschen, die sich neben dem Wohlergehen der einzelnen darum kümmern, dass die ganze Gemeinschaft in Harmonie lebt. Dass sowohl in der Gruppe Missklänge ausgeräumt werden als auch Einklang mit der Natur, mit übergeordneten, kosmischen Gesetzmäßigkeiten herrscht.
Wer sorgt in unserer Gesellschaft dafür? Da gibt es Ärzte, Heilpraktiker/innen, Psychologen, die sich um die Gesundheit einzelner kümmern. Mediatoren und Richter/innen, die für Streitschlichtung, für Vergehen gegen die Regeln der Gemeinschaft zuständig sind. Dafür, im Einklang mit der Natur zu leben, ist – gesellschaftlich betrachtet – niemand wirklich zuständig. Politiker erlassen, meist erst auf Druck hin, gesetzliche Regelungen zum Schutz der Natur, die kaum ausrechend sind. Im Grundgesetz ist nur die Würde des Menschen unantastbar, die Würde von Tieren findet keine Erwähnung. Und von einer “Würde” der Natur, von Pflanzen und der Erde selbst zu sprechen, stößt schon sprachlich bei uns auf Unverständnis. Dann gibt es noch Pastoren und Priester in unserer Gesellschaft, sorgen sie dafür, dass wir in Harmonie mit der Natur leben? Eine theologische Richtung, die Schöpfungstheologie, die die Bewahrung der Schöpfung zum Ziel hat, ist eher in Südamerika, bei Naturvölkern, beheimatet als bei uns.
Es gibt keine schnelle Antwort auf die Frage, was Schamaninnen mit Gemeinschaft, und Gemeinschaft mit Schamanen zu tun hat. Bislang machen die meisten Menschen, die in Deutschland schamanisch arbeiten, Heilungsarbeit für einzelne. Ein umfassenderes Tätigkeitsfeld, das auch gesellschaftliche Belange beinhaltet, müssen sich schamanisch Praktizierende in westlichen Gesellschaften noch erschließen.

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