Eine Geschichte über Freundlichkeit

Ein weiser Mensch hat einmal gesagt, dass Freundlichkeit im Umgang miteinander wichtiger sei als Liebe. Dazu fiel mir in der Vorweihnachtszeit eine Geschichte ein, die ich als Kind erlebt habe. Ich wollte meiner Mutter eine Schüssel zu Weihnachten schenken, eine ganz bestimmte hellblaue Keramikschüssel, die im Fenster eines Haushaltswarengeschäfts stand.

Ich hatte meine Spargroschen gezählt und fand, dass ich eine ganze Menge Geld besaß. Das sollte für eine Schüssel wohl reichen. Gemeinsam mit meinem kleinen Bruder nahm ich meinen ganzen Mut zusammen, und wir betraten den Laden, in dem wir nie zuvor gewesen waren. „Guten Tag, diese blaue Schüssel möchte ich kaufen,“ sagte ich zu der Verkäuferin und deutete ins Schaufenster.

Sie holte das Gefäß und stellte es auf dem Ladentisch ab. „Eine schöne Schüssel,“ sagte sie. „Soll es ein Geschenk sein?“ Ich nickte. „Ja, für meine Mutter zu Weihnachten.“ Die Verkäuferin packte die Schüssel in rot-weiß-grünes Geschenkpapier ein und band eine rote Schleife darum.

Währenddessen kramte ich meine Groschen aus der Geldbörse und legte sie auf den Tresen. Die Verkäuferin – vielleicht war es auch die Inhaberin des Geschäfts – zählte das Geld und stockte. „Oh, da fehlt noch etwas,“ meinte sie. Ich schüttelte mein Portemonnaie auf dem Tresen aus, aber es war leer. „Meine Mutter braucht unbedingt diese Schüssel,“ stammelte ich, während mir die Tränen kamen und mein Bruder fest nach meiner Hand griff.

Die freundliche Frau muss meine Not bemerkt haben. „Das Kind muss die Schüssel haben,“ murmelte sie. Dann räusperte sie sich und sagte. „Gut, ich kann den Preis für die Schüssel etwas heruntersetzen, sie hat einen kleinen Kratzer an der Seite.“ Den hatte ich zwar nicht bemerkt, aber das war mir gleich. Sie reichte mir das Paket. Erleichtert atmete ich aus „Vielen, vielen Dank“, verabschiedete ich mich, und verließ überglücklich mit meinem Bruder und dem Geschenk für meine Mutter den Laden.

Jahrelang war die Salatschüssel in unserer Familie im Gebrauch, gefüllt mit Kartoffelsalat, grünem Salat mit weißer Soße oder Gurkensalat mit Dill, bis sie irgendwann verschwunden ist. Geblieben ist mir vor allem die Erinnerung an die Freundlichkeit der Verkäuferin, die ohne viele Worte zu machen, begriffen hat, dass es einfach diese Salatschüssel sein musste und die damit ein Kind – und auch eine Mutter – glücklich gemacht hat. So überwältigt muss ich von der Großzügigkeit dieser Frau gewesen sein, dass mir diese Geschichte als eine der wenigen Erinnerungen an meine Kindheit im Gedächtnis geblieben ist.

 

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