Renata empfängt uns an der Eingangstür ihres Hauses mit einem freundlichen Lachen. Freundlich wirkt auch das geräumige, rötlichbraun gestrichene Holzhaus, aus dem sie tritt. Blumen, die Veranda und eine große Terrasse laden zum Verbleib. Die große Frau in Jeans lacht gerne, und auch wir haben in den nächsten Tagen viel zu lachen.
In einem Dorf bei Lötzen/Gizycko in Polen verbringen wir ein paar Tage bei Renate und Oliver, nachdem wir den Geburtsort meines Vaters im früheren Ostpreußen besucht haben. Wir ziehen in ein kleines Gästehaus, und kurz nach unserer Ankunft bringt uns Oliver einen Topf mit Borschscht, einer Gemüsesuppe, und eine Schüssel mit Pfifferlingen. Er ist Deutscher und hat mit Renata, die aus Polen stammt, lange in Deutschland gelebt und gearbeitet. Vor drei Jahren haben sie sich entschlossen, ihre Wohnung dort aufzugeben und ganz nach Polen zu ziehen.
Haus und Garten von Renata und Oliver sind eine grüne Oase, zwei Minuten vom Badestrand entfernt. Nachts kullert ab und zu ein Apfel aufs Dach, ein Volleyballnetz lädt zum Spielen ein, ebenso die kleine Boulebahn, im Gehege gackern sechs Hühner. „Ich habe das Grundstück gekauft, um mich selber zu finden,“ erzählt sie uns eines Morgens auf der sonnigen Terrasse. In ihr perfektes Deutsch mischt sich manchmal der melodische Singsang der polnischen Sprache. „In einem Dorf in der Nachbarschaft bin ich geboren und aufgewachsen.“ Ihre Eltern sind Deutsche, die nach dem Krieg im früheren Ostpreußen, heutigen Polen, geblieben sind, sie bewirtschafteten einen kleinen Bauernhof. „Das war Arbeit,“ sagt sie, wenn sie an ihre Kindheit zurückdenkt, „nichts als Arbeit. Nicht einmal eine Puppe hatte ich als Kind.“ Zwanzig Ausreiseanträge stellte der Vater, bis sie in den 70er Jahren endlich nach Deutschland ausreisen durften – weil an dem Ort eine Mülldeponie gebaut werden sollte.
Renata war damals siebzehn, die Familie zog nach Süddeutschland, und sie besuchte eine gute Schule. Schon früh lernte sie ihren Mann kennen, das erste Kind kam, als Oliver noch studierte, zwei weitere folgten. „Wir hatten nie viel Geld, aber wir lebten so, wie es uns gefiel, niemand war in der Nähe, der uns reinreden konnte.“
„Und wie kommt es, dass ihr irgendwann nach Polen gezogen seid?“ frage ich. Die Kinder waren flügge geworden, Renata hatte eine Ausbildung als Erzieherin gemacht und arbeitete beim Kinderschutzbund. „In Deutschland war ich die Polin, in Polen die Deutsche“, sagt sie. „Es war an der Zeit für mich, herauszufinden, wer ich eigentlich bin.“ Renata kaufte das Grundstück in Seenähe, das zunächst nur mit einem kleinen Steinhaus bebaut war, und verbrachte allein lange Sommer in ihrer alten Heimat. „Hier fand ich zu mir,“ erzählt sie. „Ich bin Deutsche, ich bin Polin, ich bin ein Mensch.“
Als Renata und Oliver in Rente gingen, zogen sie ganz nach Polen, ein Schritt, den sie nicht bereut haben. Die Kontakte nach Deutschland sind nicht abgebrochen, ihre Kinder und andere Verwandte leben dort. Und in Lötzen/Gizycko und Umgebung gibt es eine deutsche Community. Das Ehepaar arbeitet aktiv in der evangelisch-augsburgischen Kirchengemeinde mit, in der am Sonntag Gottesdienst in deutscher Sprache gefeiert wird, und am Montagmorgen treffen sich Deutsche und Polen – ehemalige Deutsche – um zu singen. Wir sind eingeladen, mitzukommen, und ich singe zu Olivers Akkordeonklängen mit. Von „Oh Masuren!“ bis zu „An jenem Tag mein Freund…“
Beeindruckend,dieser Blog!!
Das freut mich, Sabine! Wenn du Menschen kennst, die an den Themen interessiert sind, gib den Blog gerne weiter.